„Warfare“: Ein Blick in ein Inferno (2025)

Regisseur Alex Garland begibt sich nach „Civil War“ erneut mitten in ein Kriegsgeschehen. Zusammen mit dem ehemaligen Navy-Seal Ray Mendoza präsentiert er ein immersives Terror-Erlebnis, bewusst ohne Plot, Dramaturgie oder Hintergrundgeschichten.

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Von Christian Fuchs

Halbnackte Frauenkörper, hautenge Aerobicanzüge, sexuell aufgeladene Akrobatik zu pumpenden Technobeats: Das Video zum Song „Call On Me“ von Eric Prydz ist in die Popgeschichte eingegangen. Mit den Bildern aus diesem schwülstigen Clip leinwandfüllend einen Kriegsfilm zu beginnen, ist gewagt. Aber dann sehen wir im Gegenschnitt eine Gruppe US-Soldaten, die auf einen Laptop starrt. Grinsende Mienen, Bubenscherze, Testosteronschübe. „Dafür kämpfen wir!“ sagt einer der jungen Männer, auf die tanzenden Models deutend.

Mehr Exposition als diese kurze Szene gönnt der Film „Warfare“ seinen Figuren nicht. „Call On Me“ wird auch das letzte Stück Musik sein, das in diesem Film zu hören ist. Wir erhaschen als Zuseher einzelne Gesichter und Gesten, dann reißt der Vierviertelbeat abrupt ab. Und wir befinden uns in einer heruntergekommenen Straße in einer irakischen Stadt. Die grölenden Burschen, die zuvor noch kollektiven Spaß hatten, befinden sich wieder im Kriegsalltag.

„Warfare“: Ein Blick in ein Inferno (1)

A24/Constantin

Keinerlei Informationen oder ausgefeilte Charaktere

Verzerrt klingende Funksprüche trudeln ein, verschwitzte Gesichter huschen durch das Bild, gestresste Blicke werden ausgetauscht, es herrscht die berüchtigte Ruhe vor dem Sturm. Wofür hier gekämpft wird, muss man vor oder nach dem Film selber recherchieren. Da erfährt man dann von der Schlacht um Ramadi, die 2006 amerikanische Besatzungssoldaten im Irak gegen Aufständische prallen ließ.

„Warfare“ liefert bewusst keinerlei Informationen, transportiert keine Ideologien, präsentiert keine ausgefeilten Hollywood-Charaktere. Der Film folgt bloß 95 Minuten lang einer Einheit der US Navy Seals, die in ein Wohnhaus eindringt und dort einen Beobachtungsstützpunkt errichtet. Ein Routine-Job für die Männer, bis das Gebäude plötzlich von Al-Kaida-Kämpfern umzingelt ist. Bis Explosionen die Stille zerreißen und zerfetzte Gliedmaßen im Straßenstaub liegen.

Dass der Feind noch entschieden anonymer bleibt als die ohnehin nur grob skizzierten Navy-Seals, sollte man „Warfare“ nicht zum Vorwurf machen. Alex Garland und Ray Mendoza, die Regisseure hinter diesem Filmexperiment, wollten kein Schlachtenepos präsentieren, das sich ausgewogen dem Elend beider beteiligter Parteien liefert. Es geht ihnen darum, einen kurzen und überaus verstörenden Einblick in die moderne Kriegsführung zu liefern, einzig aus der Perspektive der eingekesselten Amerikaner.

„Warfare“: Ein Blick in ein Inferno (2)

A24/Constantin

Ein kleines Stück grausiger Wirklichkeit

FM4 Filmpodcast #281: Kontroverses Kino von A24: Warfare & A Different Man

Wieder einmal zwei gegensätzliche Filme in einer Episode, die allerdings das Ausnahme-Studio A24 im Hintergrund verbindet. Alex Garland, der zuletzt mit dem dystopischen Drama „Civil War“ für Kontroversen sorgte, schockiert erneut mit einem Blick mitten in ein Kriegsgeschehen. Zusammen mit dem ehemaligen Navy-Seal Ray Mendoza präsentiert er „Warfare“ als immersives Terror-Erlebnis.

Nicht leicht zu verdauen ist auch die bizarre Tragikomödie „A Different Man“ von Aaron Schimberg. Sebastian Stan leidet darin als glückloser Schauspieler unter einer Gesichtsdeformierung, bis eine Wunderheilung ein neues Leben verspricht. Voller Meta-Ebenen und psychologischer Twists versucht der Film über Identität und Außenwirkung zu reflektieren.

Den FM4 Filmpodcast findest du in sound.ORF.at.

Diese Sichtweise hat mit der Entstehung des Projekts „Warfare“ zu tun. Alex Garland, einer der spannendsten Regisseure des Gegenwartskinos, wollte sich nach dem Dystopie-Drama „Civil War“ eigentlich nur mehr auf Drehbücher und Romane konzentrieren. Aber eine besondere Begegnung katapultierte ihn zurück an ein Filmset. Der Ex-Navy-Seal Ray Mendoza, bei „Civil War“ als militärischer Berater tätig, berichtete dem Briten von einem beklemmenden Ereignis aus dem Irak-Krieg.

Diesen Vorfall erzählt „Warfare“ nun beinahe in Echtzeit nach, Mendoza (im Film von D’Pharaoh Woon-A-Tai gespielt) hat seine eigenen Erinnerungen mit dem der anderen überlebenden US-Soldaten abgeglichen. Es geht darum, ein kleines Stück (grausiger) Wirklichkeit zu rekonstruieren, nicht mehr und nicht weniger. Während der Kriegsveteran Ray Mendoza die jungen Schauspieler instruierte (darunter Will Poulter, Joseph Quinn und andere Blockbuster-Stars), kümmerte sich Alex Garland um die technischen Aspekte des Films.

Stimmt schon: Wie Realismus im Kino auszusehen hat, darüber lässt sich natürlich diskutieren. Der Schreiber dieser Zeilen, der absichtlich den Trailer von „Warfare“ vermieden hat, befürchtete kurz den Worst Case: Eine Kamera, die Echtheit suggerieren soll, eventuell am Helm eines Soldaten montiert, wackelige Videoaufnahmen, ein nerviger Found-Footage-Stil. Aber das würde nicht zu Alex Garland passen.

„Warfare“: Ein Blick in ein Inferno (3)

A24/Constantin

Menschen in existentiellen Ausnahmesituationen

Der blitzgescheite Brite, der vor seinem Regiedebüt "Ex Machina“ (2014) als Romanautor und Drehbuchschreiber bekannt wurde, steht für präzise, durchkomponierte Bilder. Auch in „Warfare“ scheint jede Kameraposition durchdacht, kein Schwenk zufällig, auch mitten im chaotischen Inferno. Vor allem assoziieren Filmfans das Kino des Alex Garland aber mit einer Annäherung an bestimmte Figuren-Konstellationen.

Der Erfinder der "28 Days Later“-Saga, der in Werken wie "Annihilation“, "Men“, „Civil War“ oder der Ausnahme-Serie „Devs“ Body-Horror mit Science-Fiction, Action und philosophischen Elementen mischte, interessiert sich nicht für kommerzielle Genre-Zugänge. Und auch Themen wie eine Alien-Invasion, die Macht der KI und Republikaner gegen Demokraten stehen nicht im Vordergrund.

Alex Garland treibt im Grunde ein Interesse an: Wie verhalten sich Menschen in existentiellen Ausnahmesituationen? Wie ticken wir, wenn uns gewalttätige Umstände an Grenzen bringen, wo Ethik, Moral und Empathie auf die Probe gestellt werden? Wie lange funktionieren Konstrukte wie Zivilisation und Vernunft und ab wann handelt der Homo Sapiens nur mehr instinktiv?

„Warfare“: Ein Blick in ein Inferno (4)

A24/Constantin

Kino als beklemmende Erfahrungszone

Um all diese Fragen dreht sich bereits „The Beach“, der Romanerstling des jungen Schriftstellers Garland, der zum Bestseller geriet (und von Danny Boyle oberflächlich verfilmt wurde). Damals, anno 1996, baute der Autor noch Referenzen an seinen Lieblingsfilm „Apocalypse Now“ ein, besessen von dem irrlichtenden Hollywod-Vietnam-Albtraum.

Fast dreißig Jahre später betrachtet Alex Garland, zusammen mit Ray Mendoza, den unbegreifbaren Zustand Krieg mit ganz anderen Augen. Ganz konträr zu Francis Ford Coppolas Bombast-Spektakel, mit seinen sarkastischen Untertönen und psychedelischen Umarmungen der Popkultur, wirkt „Warfare“ auf das Notwendigste reduziert. Ein immersives Terror-Erlebnis. Kino als beklemmende Erfahrungszone. Wer danach noch immer in den Krieg ziehen möchte, sollte über seine mentale Gesundheit nachdenken.

Publiziert am 22.04.2025

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Author: Virgilio Hermann JD

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